Ohne Titel (Triptychon)

Friedhelm Mennekes, 1995

Friedhelm Mennekes: Dörte Eißfeldt, Ohne Titel, 1991, in: Friedhelm Mennekes: Triptychon. Moderne Altarbilder, Insel Verlag 1995.

In ihrer künstlerischen Arbeit hebt Dörte Eißfeldt mit Vorliebe Details ins Foto. So stellt zum Beispiel der „Schneeball“ (1) eine wichtige Sequenz in ihrem künstlerischen Schaffen dar. In immer neuen Folgen greift sie die Rückenpartie eines Menschen auf und konzentriert ihre Aufmerksamkeit auf dieses Körperteil. Dann füllt sich ein Foto mit einer Hautfläche und fotografischen Konturen. Schnitt, Schatten, Kontrast behalten das Motiv im Blick, Spuren fototechnischer Entwicklungsprozesse wie Wasserläufe oder Überbelichtungen machen das Medium Fotografie zum Gegenstand. Die Rückenflächen zeigen ihren eigenen Charakter, etwa durch die Pigmentierung der Haut oder durch die Form der Schulterblätter, das Foto demonstriert sich als unverwechselbare Gattung der Darstellung in der Variation von Hell-Dunkel-Kontrasten oder Überblendungen. Zuweilen greifen diese Spuren so stark in das Motiv ein, dass es die Eindeutigkeit des Motivs verliert und zu einer abstrakten Fläche gerinnt (2).

Dörte Eißfeldt weiß in diesen Arbeiten die vielfältigen Möglichkeiten der Gestaltung erfindungsreich auszureizen. Es gelingt ihr, Rückenpartien sowohl sinnlich darzustellen als sie auch in ein vergeistigtes Lichtspiel auf porösem Grund zu überführen. Die Haut ist dann nicht mehr als solche zu erkennen, behält aber gleichwohl den Charakter von etwas, das über die Sinne anspricht. Das Motiv bannt die Aufmerksamkeit und zieht sich als deren Fixpunkt trotzdem ins Uneindeutige zurück, ja verrätselt sich. Das Körperhafte transformiert sich in einen geistigen Gegenstand, bleibt aber dennoch ein Stück Realität. Der fotografische Inhalt vergegenständlicht sich auf einer neuen Ebene, wo er allenfalls als Schatten existiert, sich verhüllt, entzieht und verbirgt. Erst im Erwecken der inneren Bildbeziehung taucht er aus den Verschleierungen oder Vieldeutigkeiten wieder hervor.
Dafür sind die drei „Messer-Bilder“ über dem Altar ein Beispiel. Da ragt in der Mitte eine alte, mit Rostspuren behaftete Messerspitze großformatig ins Bild hinein. Ein Gegensatz besteht zwischen dem harten, kantigen Objekt und einer eher weichen, feinförmig amorphen Unterlage. Harte Lichtschatten in den Rostlöchern des Messers kontrastieren mit einer sanften Schattierung. Die Neigung flüchtiger Betrachter, das Sehen von Bildern auf Motiverkennung zu reduzieren, wird methodisch gestört durch grobe Konstruktionen aus magnetischen Eisenstangen, mit denen das ungerahmte Foto „nackt“ auf die Wand fixiert wird. Es präsentiert sich nicht mit dem, was es zeigt, sondern als das, was es ist: ein Objekt aus Fotopapier und Eisenbefestigungen.
Drei dieser hohen Foto-Objekte in der Apsis sind durch Hängung und Lichtkontraste auf die Mitte hin zentriert. Die Formen der Messer korrespondieren verblüffend mit den hohen gotischen Fenstern über der Apsis, die jetzt wie eine bunte Variation der Spitzformen erscheinen. Ein Dialog zwischen diesen Formen stellt sich her. Richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Kreuzigungsmarter in den Fenstern und auf den Gegenstand der Fotos, auf das Messer und den jugendlichen Oberkörper darunter, dann wird der Bibelkundige drastisch an eine erschreckende Erzählung erinnert: die von Abraham und Isaak, vom furchtbaren Kindes- und Menschenopfer (Genesis 22,1-19), die Geschichte von Opfer des Glaubens, von Opfer vor Gott, vom Opfer Gottes…

Dörte Eißfeldt bindet in ihren Arbeiten die Ganzheit der Welt ins Fragment und spiegelt im Detail die Realität des Lebens. Was sie in der Parallelität zwischen Fenstern und Fotos verhandelt – lässt sie im Detail lebendig aufscheinen. Wenn sich dabei Transformationen ergeben, liegt das auch am Betrachter – und am Ort, wo diese Bilder hängen.

(1) Dörte Eißfeldt: Schneeball. Fotoarbeiten, Göttingen (European Photography) 1990.
(2) Ausst. Kat. Dörte Eißfeldt: Lichtmontagen und Werkprozesse 1981–1086, Karlsruhe (Badischer Kunstverein) 1987.