Christina Irrgang, Manuskript zum Werk Dörte Eißfeldts, 2018

„Auf kantigen Oberflächen herumstreifen und / nach weichen Stellen Ausschau halten und / balancierend auf einem bleichen Fahrbahnstreifen das Weite suchen / gefolgt von einem kopflosen Schattengeist quer durch die Hoch / -und Tiefbaukultur. Nur selten hinterbleiben / deutliche Spuren, Klebespuren wo man für einen Moment / haften bleibt, Schattenabdruck.“

Dörte Eißfeldt begann ihre künstlerische Arbeit zunächst im Format Video. Doch die Bilder rauschten zu schnell vorüber. Im Herauslösen von Abläufen, Perspektiven oder Formen entwickelt sie seit 1978 eine fotografische Sprache, die Bildmomente gleichsam als situative Zusammensetzung und als szenische Komposition begreift. So erzeugt Dörte Eißfeldt (*1950) durch Lichtmontage, Überblendung, Fragmentierung oder Schichtung fotografische Räume, die – in analoger wie digitaler Technik – drei Dinge berühren, denen die folgenden Überlegungen näher zu kommen versuchen: Ungreifbares, Körperhaftes, Denken.

Der ungreifbare Moment
Eis, das schmilzt. Wasser, das in eine Welle übergeht. Buchseiten, deren Buchstaben beim Umblättern verschwimmen, vereinzelt lesbar bleiben. Oder Licht, das sich auf Zweigen wiegt und sogleich in der Dichte des Nadelbaumes auflöst. Und doch: Mit dem fotografischen Bild ein Indiz schaffen,
in der Gleichzeitigkeit von Gewesenem und Potenziellem
in der Überblendung zeitlicher Abläufe durch Perspektivverschiebung
in der Rotation des Augenblicks
in einem schimmernden Zwischenraum
als der ungreifbare Moment.
Die Arbeit in Serien ermöglicht Dörte Eißfeldt, verschiedene Spektren einer Bildsituation heraus zu stellen – sei es in der analogen Fotografie durch verschiedene Belichtungsnuancen zwischen Weiß, Grau und Schwarz des selben Motivs oder gar des selben Negativs, wie bei „Schneeball“, wo jeder der 32 Abzüge in seiner spezifischen Charakteristik für sich selbst steht; oder in der digitalen Fotografie durch die sukzessive Darstellung von Abläufen, die sich beispielsweise bei Eißfeldts „Seestücken“ durch motivische Vielfalt auszeichnet. Dörte Eißfeldts Fotografien entstehen in Hinblick auf die Entwicklung eines Bildraumes, in dem die Welt in Bewegung – zuweilen auch als Schlaufe – und die Wirklichkeit als Prozess gesehen wird. Ihre fotografischen Bilder sind Möglichkeitsformen der Bezugnahme zur Welt, in der Menschen, Tiere, Natur, Traum und Realität einander begegnen und prismatisch beleuchten.

Das fotografische Bild als Körper
Wie kann eine Realität in einer anderen existieren? Der „Versuch der Ausstellung eines Tieres“ lässt als Vorschlag einer solchen Möglichkeit zwei Bildräume zu einem Bildkörper verschmelzen: Die Aufnahme vom Fell eines Tieres mündet mit ihrer organisch-haptischen Qualität in eine rechteckige Bildfläche, die ihrerseits in einen Raum mit hölzernem Boden eingebettet ist, ja in diesen übergeht. Das Bild im Bild überführt die Fotomontage hin zum Skulpturalen – sie erhält die Qualität eines Körpers, weil sie nicht ausschließlich darstellt, sondern sich selbst behauptet.
Bildkörper, Betrachter und Ausstellungsraum stehen hier in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie Negativ, Künstlerin und Dunkelkammer: dabei ist es die Konfrontation zweier Realitäten, die dazu auffordert, Eigenständigkeit zu entwickeln. Das fotografische Bild gedacht als: sich häutender, schwebender, doch evidenter Körper.
Die Nähe von fotografischem Raum, Körper und Fotografie hält Dörte Eißfeldt 1992 in ihrem Text „Der Körper der Fotografie“ fest. Wie in ihren Bildern, schreibt sie der Fotografie darin ihr ganz eigenes Vermögen des Körperhaften und der Körperbildung zu. „Die Fotografie berührt das Universum. Die Fotografie materialisiert das Denken.[…] sie hat einen Körper und sie zeigt ihn […]“. So zeigt zum Beispiel das Bild „Generator“ im Zentrum der fotografischen Montage einen kubischen Körper, der sich aus einer gefrorenen Substanz formt, wobei dessen körperbildende Konturen derart faktisch nur von kurzer Dauer bestehen. Eine real zeitlich definierte Körperhaftigkeit mündet in einen skulpturalen Körper, der sich ausschließlich durch das fotografische Bild als dieser behauptet. Die Fotografie wird zum mineralisierten Ort des Skulpturalen.

Fotografie als eine Kategorie des Denkens
Die Bewegung durch den Tag, eine Bewegung durch die Stadt: Bewegung in Zeit und Raum wird durch die Sprache fotografischer Bilder, technisch reproduzierter Fotopostkarten und der sie umfassenden, zum Teil konzeptuell gesetzten Worte gebündelt. So entstanden Dörte Eißfeldts frühe Arbeitshefte, wie zum Beispiel „Aus Rom“ (1979/80) oder „Nach Arles – nach Arles“ (1981), letzteres hervorgegangen aus einem Stipendienaufenthalt in Arles, für welchen Klaus Honnef sie vorgeschlagen hatte. Erleben, Fotografieren, Erzählen, Denken – der selbe Rahmen skizziert die Struktur, doch die Szene wechselt. Bildnarrative Sequenzen entstehen aus Dörte Eißfeldts mäanderndem und immer wieder anhaltendem Blick, der nicht zuletzt versucht, „unanschaulicher existenzieller Prozesse habhaft zu werden“ – als eine poetische Stellungnahme zu einem Geschehen zwischen Stillstand und Bewegung, bei der insbesondere die Beziehung der Bilder untereinander und der hervorgebrachten Blicke Bedeutung erhält. Als einzelne Fotografie, als fotografische Serie, als Leporello, als Buch, als Film.
„Gespräch mit einem Bild für sieben Sekunden“ (1992) ist ein Selbstportrait von Dörte Eißfeldt, das in diesem Zusammenhang wie ein Recherche-Moment wirkt: sie blickt augenscheinlich in einen leeren Raum, der aber eine Spiegelsituation inmitten ihres Ateliers zeigt. Ihre Geste wirkt fiktiv, erhält sie doch erst durch die Doppelbelichtung einen körperhaften Gegenraum, der die visuellen Ebenen zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem verdichtet. Das Selbstportrait zeigt Dörte Eißfeldt bei der Arbeit, wie es auch ihre frühen Arbeitshefte tun: sie zeichnen ein Denken nach, das analog mit dem Raum des fotografischen Bildes beginnt, das sich durch Zunahme der Perspektiven konkretisiert und das im Prozess so immer wieder neue, doch gleichbleibend gültige Gestalt annimmt.